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Nazi-Aussteiger in der KGS – „Extremismus funktioniert, allerdings nur kurz“

Kai Birkner (l.) moderierte die Veranstaltung, bei der Philip Schlaffer aus seinem Leben als Neonazi erzählte.

Wennigsen. „Extremismus funktioniert, allerdings nur kurz“, begann Philip Schlaffer seine Erzählungen am Dienstag, 28. September, vor rund 100 Wennigser KGS-Schülern des 8. Jahrgangs. Schlaffer ist ein Aussteiger aus der rechtsextremen Szene. Als Referent berichtet er über sein Leben, um an Schulen Präventionsarbeit zu leisten. Er schilderte, wie sein Weg schleichend in den Extremismus führte, wo die Gefahren heutzutage liegen und wie Jugendliche sich schützen können. Denn ein Leben, in dem Hass, Gewalt und Drogen die Hauptrollen spielen, sei nicht so glamourös, wie es gerne dargestellt werde, erklärte Philip Schlaffer, der auch im Gefängnis saß. .

„Teilt euch mit“, bittet Schlaffer die jungen Schüler, „Egal ob Eltern, Lehrer, oder Familie. Keiner muss im Leben alles alleine schaffen. Ich habe es damals nicht gemacht.“ Schlaffer hatte nach eigenen Aussagen eine glückliche Kindheit, es gab Liebe und Zuneigung. Dies änderte sich mit einem Umzug 1988 nach England, damals war er zehn Jahre alt. In England wurde er schnell zum Außenseiter. Nach eigenen Angaben war Schlaffer für die Eltern der Mitschüler damals nur der Nazi aus Deutschland, vor dem sich die Kinder in Acht nehmen sollten. Er war viel allein, bis mit 16 Jahren dann der Umzug zurück nach Deutschland erneut für einen Bruch sorgte. „Ich hatte verlernt Deutsch zu schreiben. Ich brachte nur noch fünfen und sechsen mit nach Hause. Leider war für meine Eltern damals Schule das wichtigste. Alles unter Abitur zählte nicht.“ Auf diesen Frust folgte der Hass auf die Eltern und auch die Lehrer. „Ich habe gelernt zu hassen. Selbst die eigenen Eltern. Viel zu spät habe ich gelernt, dass aus Hass nie etwas Gutes entsteht“, so Schlaffer zu den Jugendlichen.

Mit vielen Fragen nimmt er die Jugendlichen mit, um seine Vergangenheit und Erfahrungen mitzuteilen und parallelen zu der heutigen Jugend zu knüpfen. „Ich bin nicht ins Bett gegangen und am nächsten Tag als Nazi aufgewacht. Das kam alles viel langsamer“. Als wütender und gewalttätiger Jugendlicher fand er schnell seinesgleichen. „Wir haben uns angezogen wie Magnete“, erklärt Schlaffer die Abwärtsspirale. In seiner neuen „Familie“ waren alle wütend. Die Musik wurde aggressiver, bis er beim Rechtsrock landete. Die Texte, in denen es u.a. gegen Juden, Schwarze und den Staat ging, gaben ihm auch ein Gefühl davon, besser zu sein. Nach dem Mobbing und der Zeit in England, wollte der damalige Jugendliche kein Opfer mehr sein. „Wir hatten als Gruppe die gleichen Hobbys wie alle anderen auch. Fußball und Computerspiele. Aber alles war gewalttätiger und auch rassistische Sprüche wurden immer mehr“, erzählt Schlaffer. So habe sich die Gruppe mehr und mehr selbst radikalisiert. „Der Extremismus ist sehr gut darin, gebrochene, oder sich hilflos fühlende Menschen, anzusprechen. Durch die Gruppe und den Faschismus wird einem das Gefühl von Stärke und Zugehörigkeit vermittelt.“

Das funktioniere heute noch genauso wie damals, findet Schlaffer, werde aber durch das Internet noch einfacher und professioneller. „Es reicht ja, wenn man über Facebook, oder YouTube, für ein Geschichtsreferat recherchiert. Schnell bekommt man dann entsprechende Suchvorschläge und landet in entsprechenden „Bubbles“. So sind die extremistischen Inhalte schnell und einfach zu konsumieren“, so Schlaffer. Auch Sprüche gegen Juden und Ausländer würden wieder „modern“. Für Schlaffer ist es am wichtigsten, wenn Jugendliche Perspektiven haben, um nicht anfällig für Extremismus zu werden. „Jeder Mensch ist wertvoll. Das sage ich den Jugendlichen bei jeder Veranstaltung. Es ist egal ob jemand eine 1 oder eine 5 in Mathe hat, jeder ist liebenswert.“

Philip Schlaffer ist groß, breit und am ganzen Körper tätowiert und erzählt bei Veranstaltungen offen von seiner Vergangenheit als Gangster, Rockerboss und Bezügen zum Rotlichtmilieu. Besteht da nicht die Gefahr, dass er nicht abschreckend, sondern für manche als Vorbild dient? Dem Nazi-Aussteiger geht es auch um Authentizität. „Ich kann von 100 Jugendlichen nicht alle erreichen, dass wäre eine Illusion. Meine Tattoos kann ich auch nicht alle lasern lassen. Ich habe verfassungsfeindliche Motive übertätowieren lassen. Klar ist aber, die Jugendlichen merken doch, ob jemand authentisch ist, oder ob da nur einer was erzählt. Um die Jugendlichen zu erreichen, muss man ehrlich sein.“ Dazu gehöre auch, dass der Glanz aus dem Gangsterleben nur gespielt sei. Auch wenn die jungen Leute gerne Gangster-Rap hören, Schlaffer erzählt auch von der Gewalt unter Freunden. Wie der Hass alles zerstörte, Freunde sich misstrauten und intrigierten. Der Glanz eines Gangsters verschwinde schnell, wenn einen die krebskranke Mutter im Knast besuchen müsse. Der Intensivstraftäter saß zwei Jahre im Gefängnis. „Vor einigen Jahren hat mir meine Schwester gestanden, dass sie nur wegen mir ausgezogen ist mit 18, da sie solche Angst vor mir hatte. So sieht es dann in Wirklichkeit aus als Gangster.“ Kontakte zu seinen damaligen Kumpeln habe er nicht mehr. Von einigen wisse er aber, dass die noch tief im Milieu stecken.

Es muss immer eine Tür offenstehen, für Menschen, die extremistische Strukturen verlassen wollen, findet Schlaffer. Menschen zwischen 30 und 35 sprechen ihn an und wollen wissen, ob sie zurück in die Gesellschaft dürfen. „Das dürfen sie. Dafür müssen Menschen eine zweite Chance bekommen. Wohin sollen die denn auch? Ich hätte, wenn der Ausstieg nicht geklappt hätte, doch nur in der Szene bleiben können“, appelliert der ehemalige Nazi.

Als Kind wollte Philip Schlaffer natürlich nie Nazi werden. Er wollte Müllmann werden, oder Polizist. „Ich wäre gerne zur Polizei gegangen, jedoch lieber ohne Handschellen an.“

Als Referent des Vereins Extremislos besucht Philip Schlaffer bis zu sechs Schulen im Monat, um Präventionsarbeit zu leisten. Die Veranstaltung in der Wennigser KGS fand auch Dank der Sponsoren Philip Pappermann (VGH Versicherungen Wennigsen), Bernd Jakobi (Degersen) Edeka Ladage (Wennigsen), Müller-elektronic GmbH (Wennigsen), Rewe (Wennigsen), Motorama Hannover GmbH & Co. KG (Wennigsen), Stefan Rasch (Degersen) und Dres. Diebler (Wennigsen) statt. Die didaktische Leiterin der KGS Sabrina Riedel, die Sozialarbeiter Andrea Schröter und Eike Preuß organisierten die Veranstaltung. Stefan Rasch gab die Initiative für das Projekt. Moderiert wurde die Veranstaltung von Kai Birkner, kommissarischer Leiter KGS Wennigsen.

Neben der Veranstaltung für die Schüler am Vormittag, gab es am Abend auch eine Veranstaltung für die Eltern.